Montag, 21. Juli 2008

Zirkeltraining



Wenn Russen baden gehen, gleicht dieses Unterfangen dem Kampf der Kunden am 1. Tag des Sommerschlussverkaufes bei Karstadt im Erdgeschoss.

Man stelle sich einen Baggersee vor.
Groß, klares blaues Wasser, zu fast allen Seiten gesäumt von einem breiten Strand. Nein, kein feiner Ostseesandstrand. Feinstaub kommt diesem Material schon näher. Dieser Strand ist wiederrum von einem weitreichenden Wald gesäumt, nur unterbrochen von einer holprigen engen Straße. Eine Idylle, möchte man meinen.
Auf dem Weg dorthin fällt Frau kurz vor Ankunft im Naherholungsgebiet ein Schild „Wellness Center“ auf. Hui, denkt sie sich, wenn die Gegend schick ist, wäre das doch mal ein prima Anlaufpunkt im Winter, um die gestreßte Seele zu kurieren.

Die ersten Russen des Tages kommen nun gegen 10 zu diesem Kleinod und schon beginnt für sie ein anscheinend gewohntes Zirkeltraining. Die Startaufgabe ist die gefühlvolle Umrundung oder auch Überhüpfung diverser, planlos platzierter Müllhaufen ihrer Vorgänger des vorangegangenen Badetages. Diese Aufgabe ist leicht zu lösen, die Haufen liegen in 5 Meter Entfernung zueinander und ihr Durchmesser beträgt ca. 50cm. Kein Problem für die Frühbader. Weiter geht es über künstlich aufgeschüttete Sandhaufen und durch Furchen vergangener Autoreifen bis hin zum Ufer des Sees. In dieser Zeit ist mittels fachmännischen Blicks eine Schaschlikgrillstelle in der vermeintlich besten Lage auszumachen. Endlich am Platz ihrer Träume angekommen, werden Matratzen, Sessel, Betten, Matten, Laken und weiteres Liegematerial ausgepackt und direkt neben das Auto gelegt. Hinzu kommen noch der halbe Inhalt des Kühlschranks und eine Stereoanlage, falls das Autoradio nicht mehr als ein Viertel des Strandes übertönt.

Die zweite Garde Russen, welche sich erst gegen Mittag aufmachen, ihr Naherholungsdomizil zu besuchen, hat schon schwierigere Aufgaben in ihrem Zirkeltraining zu bewältigen. Neben der nicht leichter werdenden Umrundung der Müllhaufen kommen nun noch offene Feuerstellen und fahrbare Untersätze aller Art als Hindernisse hinzu. Auf jeden zweiten Wagen kommt ein Schaschlikgrill, welcher mit sicherem Grillgeschick immer in die richtige Stelle gestellt wird…natürlich mitten in den Weg.
Da sich Russen aber nie mit der zweiten oder dritten Reihe zufriedengeben, besteht nun die Kunst des Hindernislaufes darin, sich an die vorderste Front aller Badegäste zu schieben. Und so drängeln und schieben sie sich mit ihren Geländewagen durch die sonnende Masse, in der Hoffnung auch nachmittags um 3 Uhr den 1. Platz am Wasser zu bekommen. Es geht über Badematten, fast schon über Füße, vorbei an Tubberdosen voller frischem Salat (so eine Prise Diesel tut der Gewürznote ganz gut), direkt vor die Nase von Familien, welche sich über einen kurzen und schmerzlosen Weg zum Wasser gefreut hatten. Und damit jeder weiß, wer gerade die Pole-Position ergattert hat, blasen deren Radios den russischen Techno besonders laut über die Wellen des Kiesgrubenmeeres.
Aber es gibt immer noch einen, der mithalten kann. Nämlich die kleine Open-Air Bühne auf der anderen Seeseite, welche ab Mittags um 12 ihr Bestes tut, im ganzen Erholungsgebiet Aufmerksamkeit zu finden. Hinzu kommen noch Wasserskiaktivitäten und diverse Hunde, denen irgendwann alles zu viel wird.

So sitzt man da, als Zaungast, und beobachtet und denkt.
Sieht Hühnerbrüstchen, welche sich neben Bierflaschen und Wassermelonenresten grillen und dicke Goldketten, die auf der Sandbank im See Pose stehen.

Und bei der Rückfahrt denkt Frau sich, daß die verrostete Rutsche in den See nicht gut für eine rosig gepflegte Haut wäre und vergißt ganz schnell das Wellness-Center in der russischen Idylle.

(und von den kleinen fliegenden Ungeheuern erzähle ich lieber nichts..wir wollen ja noch Besuch bekommen *grins*)
Liebe Grüße aus Immer-Noch-Hochsommer-Sibirien
Claudi & Kai

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hi Claudi und Kai,
das nennt man dann Wohl Begegnung der 3. oder 4. Art. :-)..Russen beim Baden.
Der Bericht war mal wieder herrlich.
LG aus dem wechselhaften MUC
antje

Claudi + Kai hat gesagt…

meine fresse...so schnell hab ich keine antwort erwartet *hihi*
liebe grüße und gute besserung!
claudi

Anonym hat gesagt…

Da ich es letztens schon so schön geschafft habe, werde ich das Glück nochmal herauf beschwören.. Also der Bericht ist Klasse. An dir ist wirklich eine Karla Kolumna verloren gegangen! Schade eigentlich. So hättest du die ganze Welt mit deinen Texten erfreuen können..
So, bevor ich noch ins Schwärmen gerate, mach ich jetzt lieber Schluß. Wünsch euch noch ne schöne Woche und ich werde euch im Auge behalten : ) Werd morgen erstmal in meinen wohlverdienten Urlaub starten... Also bis denne
LG von Anja D. aus P., wohnhaft in E. ; )

Anonym hat gesagt…

Claudi, du kannst ja mal bei der SZ anfragen, ob du mit deinen herrlichen Berichten nicht Christina ablösen kannst. Natürlich nur gegen ordentliches Honorar.
Also, es ist wieder sehr plastisch geschrieben; man sieht die Russen richtig schieben und schärcheln.
Wer war eigentlich dein Deutschlehrer auf dem Gym?
Nochmal liebe Grüße von Vamuli

Claudi + Kai hat gesagt…

Na huch, da werde ich ja richtig rot. Danke für das viele Lob :-)
Mein Deutschlehrer war Herr Wendisch, seines Zeichens Quälhannes in Sachen Interpretation von Texten.
Ich glaube aber nicht, daß ich Christina das Wasser reichen kann. Mir reicht dann doch die Unterhaltung eines kleinen Kreises speziell auserwählter Leser :-)
liebe grüße von der kalt-wasser-front
claudi

Anonym hat gesagt…

Ja, ja...

auch bei uns ist der Hochsommer pünktlich zum Umzugsbeginn am Donnerstag letzter Woche angekommen. Habe die Familie am Wochenende erfolgreich nach Kobenhagen umgezogen. Die Kinder wurden uns durch Schwiegereltern am Sonntag "nachgeliefert". Gerne wäre ich noch geblieben aber der Wagen musste ja wieder nach Hamburg zurück. Werde euch demnächst ein paar Bilder zukommen lassen. Man ist das Haus jetzt leer....

Gruss Alex